Was war wann - Info Chronik 1925

Chronik 1925

Die in ihrer Frühzeit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs durch teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände, außenpolitische Isolation und enorme wirtschaftliche Krisen geprägte Deutsche Republik schien 1925 innen-, wirtschafts- und außenpolitisch auf dem Weg der Stabilisierung zu sein. Allerdings wurde dieser Prozess der Stabilisierung weiterhin durch die Zerrissenheit der politischen Öffentlichkeit in die starken extremen Lager von Links und Rechts bedroht. Den Extremen war bei aller gegenseitigen Todfeindschaft die Verachtung und Ablehnung gegenüber dem jungen demokratischen Staatswesen der „Republik von Weimar“ gemeinsam. Das verfassungstragende, zu schmale Spektrum von SPD, Zentrum, Liberalen und Teilen der bürgerlichen Konservativen war nur unter günstigen Voraussetzungen mühsam in der Lage, die Aufgaben der politischen Weichenstellungen und des Tagesgeschäfts zu erfüllen. 1925 war der Wirtschaft nach der Bewältigung der Inflation durch Einführung der Renten- und Reichsmark (1923/24) zwar die Grundlage zum Aufschwung gegeben worden, doch waren die Arbeitslosenzahlen immer noch zu hoch und die Zuwachsraten-Kurven zu flach, um von einer soliden Gesundung der Wirtschaft sprechen zu können.
Zwei Ereignisse standen 1925 in Deutschland, das auch als Republik immer noch „Deutsches Reich“ hieß, im Vordergrund des politischen Interesses: Die Direktwahl eines neuen Reichspräsidenten und der Abschluss eines die außenpolitische Isolierung des Landes endgültig aufhebenden Vertrages.
Der seit 1919 als erster Reichspräsident an der Spitze der Deutschen Republik stehende SPD-Politiker Friedrich Ebert war am 28. Februar 1925 gestorben. Deshalb war die Neuwahl des im Vergleich zu den späteren Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland mit wesentlich umfangreicheren Machtbefugnissen ausgestatteten Staatsoberhaupts vorzeitig notwendig geworden. Die demokratischen Parteien konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. So trat für das „Reichsblock“ genannte Wahlbündnis der Regierungsparteien DVP und DNVP der Ex-Reichsinnenminister Karl Jarres (DVP) und für die ebenfalls an der Regierung beteiligte Zentrums-Partei deren Vorsitzender Wilhelm Marx an. Die SPD schickte Otto Braun, den früheren (und späteren) Ministerpräsidenten von Preußen, ins Rennen. Die extreme Rechte (Völkische, NSDAP) stellte den Ex-Generalquartiermeister des Ersten Weltkriegs und Putschisten vom 9. November 1923 Erich Ludendorff auf. Die KPD entschied sich für den als Anführer des Hamburger KPD-Aufstandes (Oktober 1923) in ähnlicher Weise wie Ludendorff als Republik-Feind qualifizierten Rotkämpfer-Vorsitzenden Ernst Thälmann als ihren Präsidenten-Kandidaten. Erwartungsgemäß erhielt keiner dieser Kandidaten, zu denen noch eine Reihe weiterer, von kleineren Parteien unterstützter Anwärter gekommen waren, am 29. März die im ersten Wahlgang (Wahlbeteiligung: 68,8 %) erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Jarres hatte mit 38,8 % die Nase vorn, gefolgt von Braun (29,0 %) und Marx (14,5 %). Ludendorff erhielt abgeschlagen lediglich 1,1 %.
Im zweiten Wahlgang, für den die relative Mehrheit zum Erreichen des Wahlsieges genügte, wurde das Kandidaten-Angebot neu formiert. DDP, SPD und Zentrum einigten sich als „Volksblock“ auf Wilhelm Marx. Die KPD, für die die Wahl ein willkommener Anlass für Agitprop war, hielt am chancenlosen Thälmann, der im ersten Wahlgang 7,0 % erreicht hatte, fest. Die Konservativen von DVP, DNVP und dem bayerischen Zentrums-Ableger BVP verbündeten sich mit der im Februar nach der Entlassung Adolf Hitlers aus seiner kurzzeitigen Festungshaft reorganisierten NSDAP zum „Reichsblock“. Sie überzeugten den greisen Ex-Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (77) sich aufstellen zu lassen. Hindenburg, von 1916 bis 1918 zusammen mit Ludendorff Quasi-Militärdiktator des Deutschen Reiches, hatte sich am Ende des Ersten Weltkrieges 1918 vornehm aus der Verantwortung gestohlen und das ehrenrührige Geschäft der Friedensverhandlungen aus der Verlierersituation heraus von ihm verachteten zivilen Politikern überlassen. Durch seine seinen Nachruhm sichern sollende These vom „im Felde unbesiegten Heer“ gehörte er zu den Förderern der die Atmosphäre in der Weimarer Republik nachhaltend vergiftenden „Dolchstoßlegende“. Anti-Republikaner Hindenburg gewann den zweiten Wahlgang (Wahlbeteiligung: 77,6 %) nach einem überaus polarisierenden Wahlkampf, in dem der „Sieger von Tannenberg“ als Retter der Nation und zu einer Art Ersatz-Kaiser stilisiert worden war. Er erhielt 48,3 % der Stimmen, Marx 45,3 % und Thälmann 6,4 %.
Gutmeinende Beobachter hofften, dass mit Hindenburg an der Spitze des Staates die Rechten ihren Frieden mit der Existenz der Republik schließen würden. Skeptiker befürchteten einen Abbau demokratischer Grundlagen durch einen erklärten Monarchisten als Reichspräsident. In der Rückschau wurde Hindenburg, der bis zu seinem Tod 1934 Reichspräsident blieb, zumindest zugestanden, dass er seinen auf die Verfassung der Republik abgelegten Eid zwar nicht freudig, aber im Rahmen seiner begrenzten Fähigkeiten durchaus ernsthaft zu entsprechen versucht hat.
Im Ausland wurde die Wahl Hindenburgs, der zeitweise als Kriegsverbrecher galt, teilweise mit Entsetzen und Empörung registriert. Dennoch gelang dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann (DVP) im Zusammenspiel mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand das diplomatische Meisterstück des Vertrags von Locarno. Ziel Stresemanns war es, Deutschland wieder als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der europäischen Großmächte zu bringen. Dabei setzte er nicht auf die verloren gegangene militärische Stärke oder auf Macht- und Revanchepolitik wie die Rechte, sondern auf die Betonung des wirtschaftlichen Potenzials Deutschlands und seines Willens zur friedlichen Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Beim umfangreichen Notenwechsel, der der Konferenz von Locarno (5. - 16. Oktober) vorausging, empfahl er die deutsche Beteiligung als unverzichtbar für Großbritannien, Frankreich und die anderen europäischen Staaten beim Bestreben, sich sowohl gegenüber der wirtschaftlichen Supermacht USA als auch gegenüber der drohenden Gefahr durch die UdSSR zu behaupten. In Locarno wurden Garantieverträge ausgehandelt, durch die das Deutsche Reich die bestehenden, nach Ende des Weltkriegs gezogenen Grenzen anerkannte. Im Gegenzug wurde Deutschland unter anderem die Aufnahme in den Völkerbund und damit das Ende seiner Paria-Stellung unter den Nationen zugesichert. Das von der Rechten als „Erfüllungsvertrag“ diffamierte, am 1. Dezember in London unterzeichnete Locarno-Paket führte als erstes konkretes Ergebnis zu der in der deutschen Öffentlichkeit sehr positiv aufgenommenen Teilräumung des von alliierten Truppen besetzten Rheinlandes am Tag vor der Vertragsunterzeichnung. Bereits im Sommer hatten die letzten französischen und belgischen Truppen das während des Ruhrkampfes 1923 besetzte Ruhrgebiet geräumt.
Zum Trend der Versöhnung und Öffnung nach außen im Jahr 1925 gehörte in gewisser Weise auch die Verabschiedung des „Heidelberger Programms“ der SPD, in dem eine Vereinigung Europas in Frieden gefordert wurde.
In den USA sorgte 1925 ein bizarrer Fall von Wissenschaftsverleugnung für Schlagzeilen. Ein Biologie-Lehrer verstieß in Tennessee gegen ein Gesetz, nachdem er im Unterricht die Entstehung des Menschen nicht mit der biblischen Schöpfungsgeschichte, sondern mit der Evolutionstheorie Darwins erklärt hatte. Im folgenden als „Monkey Trial“ berühmt gewordenen Prozess wurde der Lehrer zu einer Geldstrafe verurteilt.
Ähnlich bizarr war der Hinweis auf den beginnenden Personenkult um den sich zunehmend als UdSSR-Diktator gegen innerparteiliche Konkurrenten durchsetzenden Bolschewiki-Generalsekretär Josef Stalin. Zu seinen Ehren wurde die Wolga-Großstadt Zarizyn in „Stalingrad“ umbenannt. Im selben Jahr kam einer der bedeutendsten sowjetischen Filme ins Kino: Der die Revolution 1905 verherrlichende, von Sergei Eisenstein in Szene gesetzte Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkim“.
Zu den kulturellen Highlights des Jahres gehörten auch die Veröffentlichung von F. Scott Fitzgeralds Roman „Der große Gatsby“ und Lion Feuchtwangers Novelle „Jud Süß“, die Premiere von Alban Bergs Oper „Wozzeck“ in Berlin und die erste Aufführung der Lehár-Operette „Paganini“ in Wien.