Was war wann - Info Chronik 1929

Chronik 1929

Im Oktober 1929 wurde durch den New Yorker Börsenkrach weltweit ein massiver Wertverfall von Aktien ausgelöst, der für die soziale, ökonomische und auch politische Stabilität fast aller Staaten schwerwiegende Folgen hatte. Zu den am härtesten von der Krise betroffenen Ländern gehörte das Deutsche Reich. Neben den wirtschaftlichen Problemen hatte die ungefestigte Weimarer Republik 1929 vor allem mit dem Erstarken der extremen Rechten zu kämpfen. Die von dem Medienmogul und DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg geführte Anti-Young-Plan-Kampagne trug entscheidend dazu bei, dass die bis dahin wenig bedeutende NSDAP zur Gefahr für die demokratische Republik werden konnte.
Am Anfang der Weltwirtschaftskrise, die in den USA als „Great Depression“ bezeichnet wurde, stand die vor allem in den USA von Unternehmern, Banken und Wirtschaftswissenschaftlern allgemein vertretene Ansicht, dass der seit Anfang der 1920er Jahre zu beobachtende steile Anstieg des Dow Jones Index (DJI) keine vorübergehende Erscheinung sei. Im irrationalen Vertrauen auf einen „ewigen Kurs-Anstieg“ wurden von Großanlegern, aber auch von vielen Kleinanlegern, Wertpapiere ohne ausreichende Deckung erworben. Die Banken gaben großzügig Kredite für den Ankauf von Wertpapieren, in der Überzeugung, dass die oft über nicht ausreichende Sicherheiten verfügenden Kreditnehmer Zinsen und Kredit-Rückzahlung aus den fest erwarteten Aktiengewinnen bedienen werden. Anfang Oktober verlor der DJI seinen Höhenflug und stagnierte. Viele Kleinanleger, denen plötzlich bewusst wurde, dass sie ihre Kredite nur bei dauerhaftem Anstieg bedienen konnten, verkauften ihre Aktien und verursachten dadurch eine nervöse Atmosphäre an den Börsen. Am Vormittag des 24. Oktobers („Black Thursday“, in Europa wegen der Zeitverschiebung „Schwarzer Freitag“ genannt) löste der Bankrott eines wichtigen britischen Spekulanten an der New Yorker Börse („Wall Street“) Panik aus. Viele Händler und Broker bekamen von ihren Kunden den Auftrag, sofort Aktienpakete abzustoßen. Stützungskäufe und andere Maßnahmen der Banken konnten den Trend nicht aufhalten.
Am folgenden Dienstag („Black Tuesday, 29. Oktober) war der Kurs so niedrig, dass die meisten Großaktionäre ihre Kredite nicht mehr decken konnten, worauf die Banken den Verkauf der als Sicherheit hinterlegten Aktiendepots verlangten. Das Platzen der gigantischen Spekulationsblase führte zu einer Bankrott-Welle der hochverschuldeten Unternehmen, einer Verarmung von Millionen Kleinanlegern und durch Massenentlassungen verursachte Arbeitslosigkeit. In Folge zogen die USA, als wichtigster Gläubiger-Staat vieler europäischer Länder, insbesondere Deutschlands, ihre Kredite in Europa ab. Dadurch brachen auch hier die Finanzmärkte zusammen, das Steueraufkommen ging rapide zurück und die Arbeitslosenzahlen schnellten aufwärts.
In Deutschland, das sich bereits seit 1927/28 in einer wirtschaftlichen Abschwungphase befunden hatte, stiegen die Arbeitslosenzahlen von 1,5 Millionen auf zwei Millionen. Im Folgejahr lag die Erwerbslosenzahl bereits bei drei Millionen und erreichte 1933 die Rekordhöhe vom etwa sechs Millionen. Das bereits überlastete deutsche Arbeitslosenversicherungs-System, das darauf ausgelegt war, knapp einer Million Arbeitslosen für ein halbes Jahr maximal 75 % ihres letzten Lohns zu sichern, stieß schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit.
Hilflose Versuche der „Koalitions-Regierung von Reichskanzler Hermann Müller (SPD), die Wirtschaft zu stützen, stießen ins Leere und verstärkten die Unzufriedenheit der von Elend bedrohten Bevölkerung mit der Republik. Links- und rechtsradikale Rattenfänger, die schnelle Lösungen anboten, gewannen in dieser verzweifelten Situation zunehmend Zulauf. Der Straßenterror nahm ständig zu. Die SA schlug sich regelmäßig mit ihren politischen Gegnern, in Dithmarschen und anderen schleswig-holsteinischen Regionen verübten radikalisierte Bauern Bombenanschläge („Landvolkbewegung“) und die KPD stand ihren braunen Feinden, was die Unbedenklichkeit anging, Gewalt anzuwenden, kaum nach. Bei Straßenschlachten mit kommunistischen Demonstranten wurden vom 1. bis zum 3. Mai in Berlin durch brutale Überreaktionen der preußischen Polizei etwa 35 KPD-Mitglieder und Unbeteiligte getötet („Blutmai“).
Gefördert wurde dieser Trend zur Radikalisierung durch die gegen das „System von Weimar“ gerichtete Kampagne gegen den Young-Plan. Auf einer Konferenz von Finanzsachverständigen, zu denen auch der deutsche Reichsbank-Präsident Hjalmar Schacht gehörte, wurde in der ersten Jahreshälfte 1929 in Paris ein nach dem US-amerikanischen Vorsitzenden der Konferenz, Owen D. Young, benannter Plan erarbeitet. Der Plan sollte die Modalitäten der von Deutschland nach Maßgabe des Versailler Vertrags (1919) zu zahlenden Weltkriegs-Reparationszahlungen neu bestimmen. Der ausgehandelte Plan sah eine endgültige Festlegung der deutschen Schulden auf, in Raten bis 1988 zu zahlende und zu verzinsende 36 Milliarden Reichsmark zu. Im Gegenzug wurde eine vorzeitige Räumung der noch von alliierten Truppen besetzten Rheinland-Gebiete und andere Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Mit der teilweisen Lösung der Rheinland-Frage (die Entmilitariserung des Gebiets sollte weiterhin Bestand haben) erhoffte sich Kanzler Müller einen ihm dringend notwendig erscheinenden außenpolitischen Prestige-Erfolg.
Am rechten Rand des politischen Spektrums wurde der Entwurf des Young-Plans als Hebel angesetzt, um die Regierung Müller zu diskreditieren. Der Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) Alfred Hugenberg kontrollierte mit seinem Medienkonzern, zu dem unter anderem der Scherl-Zeitungsverlag und die UFA gehörten, etwa die Hälfte der deutschen Presse- und Film-Landschaft. Diese geballte Medienmacht setzte der antisemitische und antidemokratische Politiker ein, um eine Kampagne gegen den Young-Plan durchzuführen. Dabei nutzte Hugenberg das von ihm eigentlich verachtete Mittel der in der Weimarer Verfassung festgeschriebenen Volksgesetzgebung. Er initiierte ein Volksbegehren für ein so genanntes „Freiheitsgesetz“. Danach sollte unter anderem Reichskanzler und Reichsministern unter Haftstrafandrohung verboten werden, Verpflichtungen im Zusammenhang mit den alliierten Reparationsforderungen (wie im Young-Plan) einzugehen. In den „Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren“ holte Hugenberg nicht nur Vertreter rechtskonservativer Organisationen wie DNVP, Stahlhelm oder Alldeutscher Verband, sondern auch Nazi-Führer Adolf Hitler. Die 1929 mit lediglich einem Dutzend Abgeordneter im Reichstag vertretene NSDAP stellte zwar nur eine unbedeutende parlamentarische Größe dar, sollte aber bei der Kampagne mit ihren SA-Schlägern für entsprechenden Krawall auf den Straßen sorgen.
Die extrem polarisierende Anti-Young-Plan-Kampagne stellte insbesondere auf den Vorwurf der „Versklavung der Deutschen“ durch eine „Schuldknechtschaft bis ins dritte Glied“ ab. Das Volksbegehren erreichte am 29. Oktober knapp die erforderliche Zustimmung von 10 % der Wahlberechtigten, um einen Volksentscheid zu erzwingen, bei dem die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Annahme des „Freiheitsgesetzes“ erforderlich war. Beim Volksentscheid am 22. Dezember wurde der Gesetzesentwurf zwar mit 13,8 % Zustimmung klar abgelehnt, doch war die politische Kultur der Deutschen Republik durch die rohen Auseinandersetzungen zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Gewinner der Kampagne war Adolf Hitler, der von den Rechtskonservativen zum Partner aufgewertet worden war und der die Kampagne genutzt hatte, seine Partei auf Kosten der DNVP als anscheinend wahre Alternative für national denkende Deutsche reichsweit profilieren zu können.
Für viele Zeitgenossen erschien der Tod von Außenminister Gustav Stresemann (DVP), der seit 1923 an der Spitze des Auswärtigen Amtes stand und Deutschland durch seine geschickte und friedensorientierte Außenpolitik wieder in den Kreis der Staatenfamilie zurückgebracht hatte, als Symbol für das Ende der hoffnungsvollen Jahre der Weimarer Republik. Aristide Briand, der als französischer Außenminister eng und erfolgreich mit Stresemann zusammengearbeitet hatte, hatte einen Monat vor Stresemanns Tod in einer Aufsehen erregenden Rede vor dem Völkerbund vorgeschlagen, über die Möglichkeit einer europäischen Union nachzudenken. Europa war aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg für diese revolutionäre Idee reif.
In der Sowjetunion ließ sich Partei-Generalsekretär Josef Stalin, der 1929 seinen einstigen Hauptgegner in der Bolschewiki-Partei, Leo Trotzki, aus den Land ausgewiesen hatte, als „Führer“ anreden. Stalins amateurhafte und rücksichtslose, mit der Verhaftung und Ermordung unzähliger Groß- und Mittelbauern („Kulaken“) verbundene Zwangskollektivierung der Landwirtschaft löste 1929 eine jahrelange, Millionen Tote fordernde Hungersnot in weiten Gebieten der Sowjetunion aus.
Mit Unterstützung eines anderen „Führers“, dem italienischen „Duce“ Benito Mussolini, wurde der römisch-katholische Papst nach fast einem halben Jahrhundert wieder souveränes Staatsoberhaupt. Zwar sahen die am 11. Februar geschlossenen Lateranverträge keine Wiederherstellung des vor der Annexion durch das italienische Königreich (1870) unter anderem die Regionen Emilia-Romagna, Umbrien und Latium mit Rom umfassenden Kirchenstaates, aber immerhin bekam der Papst in Rom mit dem Staat der Vatikanstadt 44 Hektar Eigenland inklusive Petersdom.
Noch vor dem großen Börsencrash feierte sich die Filmindustrie in Hollywood am 16. Mai mit der Verleihung der ersten, in den Folgejahren unter der Bezeichnung „Oscar“ weltberühmt werdenden „Academy Awards of Merit“. Zu den ersten Preisträgern dieses bald wichtigsten Filmpreises gehörte der Deutsche Emil Jannings als „Bester Hauptdarsteller“. Filmgeschichte machten 1929 auch die Uraufführungen der Filme „Blackmail“ (Regie: Alfred Hitchcock), „Tagebuch einer Verlorenen“ (Regie: G. W. Pabst) und der letzte MGM-Stummfilm „The Kiss“ mit Greta Garbo in der Hauptrolle. Popeye und Tintin (Struppi) hatten 1929 ihre Premiere als Zeichentrickfilm-Stars und mit dem Hans-Albers-Streifen „Die Nacht gehört uns“ kam der erste deutsche Tonfilm in die Kinos.
Wie Popeye und Struppi sprach auch Erich Kästners Kinderroman „Emil und die Detektive“ nicht nur Kinder an.
Thomas Mann konnte sich 1929 über den Literatur-Nobelpreis freuen und Erich Maria Remarque über die Buchvorstellung seines bereits im Vorjahr in der Vossischen Zeitung vorabgedruckten Anti-Kriegsroman-Erfolgs „Im Westen nichts Neues“. Ernest Hemingway glänzte mit seinem ersten Roman: „In A Farewell to Arms“ hatte er wie Remarque eigene Weltkriegserlebnisse verarbeitet.
Zum Sound des Jahres gehörten George Gershwins Musical-Melodien aus „Ein Amerikaner in Paris“, Marlene Dietrichs freche Chansons „Schöner Gigolo“ und „Ich bin von Kopf bis zu Fuß auf Liebe eingestellt“ sowie Fred Astaires mondänes „Puttin´on the Ritz“.