Was war wann - Info Chronik 1954

Chronik 1954

Spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg hatte Frankreich seine Stellung als Weltmacht verloren. Nichtsdestotrotz wurde die französische Politik auch in der Nachkriegszeit von im 19. Jahrhundert entwickelten Kategorien wie „Gloire“ und “Grande Nation“ bestimmt. Nicht nur General Charles de Gaulle, der bis 1946 (und später von 1958/59 bis 1969) an der Spitze des Landes stand, sondern auch viele andere Politiker und Bürger Frankreichs waren der festen Überzeugung, dass Frankreich nicht zum Junior-Partner der USA herabgesunken war, sondern Anspruch auf eine eigenständige Großmachtstellung habe. Zu dieser politischen Grundlinie gehörte das Festhalten an überseeischen Besitzungen. Zum ausgedehnten Kolonialbesitz Frankreichs gehörte auch die Vietnam, Kambodscha und Laos umfassende Kolonie Französisch-Indochina, die Frankreich 1941 an Japan verloren hatte. Versuche die alte Kolonialherrlichkeit ab 1945 im Vorkriegsstil wieder zu errichten, stießen rasch auf den Widerstand einheimischer Kräfte. Insbesondere Kommunistenführer Ho Ch Minh, der während der japanischen Besatzungszeit erfolgreich mit der Widerstandsbewegung Vietminh gegen die Okkupanten gekämpft hatte, widersetzte sich den französischen Plänen ab 1946 mit militärischen Mitteln. Der die französischen Militärs überfordernde (Erste) Indochina-Krieg fand seinen Höhepunkt in der deutlichen Niederlage der Franzosen in der vom 13. März bis zum 7. Mai tobenden Schlacht um Dien Bien Phu. Die Konfliktparteien einigten sich unmittelbar darauf in Genf auf ein Waffenstillstandsabkommen. Als Ergebnis zogen sich die Franzosen aus Indochina zurück. Laos und Kambodscha wurden unabhängige Königreiche. Vietnam teilte mit Deutschland, Korea und China das Schicksal, in zwei ideologisch verfeindete Staaten gespalten zu werden. Nördlich des 17. Breitengrads regierte Ho Chi Minh die von der Sowjetunion und Rotchina unterstützte Demokratische Republik (Nord-)Vietnam, südlich davon entstand die Republik (Süd-)Vietnam, die nach Wegfall der Franzosen von Washington als Einflussgebiet der USA betrachtet wurde. Die Einbindung der Region in die Interessen der sich im Kalten Krieg gegenseitig belauernden Supermächte USA und UdSSR legte bereits die Saat für den Mitte der 1960er Jahre ausbrechenden Vietnamkrieg.
Den das französische Image als Großmacht empfindlich treffenden Verlust Indochinas versuchte Frankreich durch die Betonung der Anbindung seiner nordafrikanischen Kolonien ans Mutterland zu kompensieren. Insbesondere in Algerien hatte Frankreich durch die Förderung der Ansiedlung von weißen Siedlern („Pieds-noirs“) die muslimische, berberisch-arabische Bevölkerungsmehrheit an den Rand gedrängt. Bestrebungen von Autonomie-Bewegungen wurden brutal unterdrückt. Wenige Monate nach Ende des Indochina-Krieges eröffnete die FNL (Front de Libération Nationale) einen Guerillakrieg gegen die französischen Kolonialherren. Frankreich sah sich erneut in eine, sich zu einem überaus grausamen und verlustreichen Krieg entwickelnde Auseinandersetzung verwickelt. Der schließlich mit der Unabhängigkeit Algeriens endende Algerienkrieg dauerte bis 1962.
In den USA standen 1954 zwei innenpolitische Aspekte, die vielen Kritikern nicht vereinbar schienen mit dem Selbstbild der USA als „Land of the Free“, auf der Tagesordnung. Das seit 1953 vom republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower regierte Land erlebte seit 1947 die „Zweite Rote Angst“. Ähnlich wie unmittelbar nach der russischen Oktoberrevolution 1917 („Erste Rote Angst“, bis 1920) bestimmten von abstrusen Verschwörungstheorien begleitete anti-kommunistische Ängste die innenpolitische Atmosphäre. Senator Joseph McCarthy als Vorsitzender des Senatsausschusses Government Operations Committee und andere Scharfmacher wie Richard Nixon gelangten zu Einfluss („McCarthy-Ära“) und lösten regelrechte Kommunisten-Hexenjagden („Schwarze Listen“) aus. Als ein Höhepunkt dieser bis etwa 1957 andauernden, Meinungs- und Pressefreiheit stark beschränkenden Ära wurde am 24. August das Communist Control Act von US-Präsident Eisenhower unterschrieben. Nach diesem Gesetz waren Mitgliedschaft in der KPUSA und die Unterstützung dieser Partei strafbar. Mit dem Vorstoß von McCarthy und seiner Gesinnungsfreunde, nicht nur Kommunisten und liberale Künstler und Schriftsteller wie Pete Seeger oder Arthur Miller zu kriminalisieren, sondern ab 1954 auch hohe Militärs in den Ruch zu bringen, Kommunistensympathisanten zu sein, überspannte der Anti-Kommunisten-Block den Bogen. Das angegriffene Establishment schlug zurück. Im Dezember erteilte der Bundes-Senat McCarthy eine formelle Rüge. McCarthy musste seinen Vorsitz im Government Operations Committee abgeben und verschwand in der politischen Bedeutungslosigkeit.
Ein anderes Unfreiheits-Gebiet in den Vereinigten Staaten machte 1954 ebenfalls Schlagzeilen. Am 17. Mai bescheinigte der Oberste Gerichtshof dem amerikanischen Volk, dass die Rassentrennung an öffentlichen Schulen mit der Verfassung nicht vereinbar sei. Das Urteil stieß insbesondere in den Südstaaten auf die rassistische Wut „häßlicher Weißer“. In South Carolina führte der rüde Verweis der jungen Afroamerikanerin Sarah Mae Brown aus einem Bus, weil sie es gewagt hatte, sich auf einen Sitz im für Weiße reservierten Bereich zu setzen, zu einem Rechtsstreit, der die schwarze Bürgerrechtsbewegung enorm stärkte.
In Deutschland sorgten 1954 insbesondere zwei Themen für Aufregung und Aufmerksamkeit: Die „Affäre Otto John“ und „Das Wunder von Bern“. Im Juli meldete die DDR-Presse, dass sich Otto John, der Präsident des bundesdeutschen Inlandgeheimdienstes (Verfassungsschutz), nach Ost-Berlin abgesetzt habe. Als Motiv wurde unter anderem die angebliche Renazifizierung an der Spitze der bundesdeutschen Verwaltung angegeben. John trat in den folgenden Monaten bei zahlreichen Propaganda-Veranstaltungen in der DDR auf. 1955 konnte er sich wieder von Ost-Berlin in den Westen absetzen. John gab bei seiner Rückkehr an, 1954 vom KGB entführt worden zu sein. Er sei danach lediglich zum Schein für die Ost-Propaganda tätig gewesen, um die Gelegenheit zur Flucht zu finden. Geglaubt wurde ihm nicht: John wurde angeklagt und 1956 wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.
Noch aufregender für die bundesdeutsche Befindlichkeit als die sich zum größten Politskandal der jungen Bundesrepublik ausweitende „Affäre Otto John“ war 1954 das „Wunder von Bern“. Unter der Fuchtel von Bundestrainer Sepp Herberger hatte die bundesdeutsche Fußball-Nationalmannschaft (Kapitän: Fritz Walter) die Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft erfolgreich abgeschlossen und sich zur Verwunderung der Fußballwelt für die Endrunde in der Schweiz qualifiziert. Deutschland wurde in der Vorrunde Gruppenzweiter, besiegte Jugoslawien und Österreich im Viertel- beziehungsweise im Halbfinale und stand am 4. Juli im Wankdorf-Stadion der Schweizer Bundesstadt Bern dem haushohen Favoriten Ungarn (Kapitän: Ferenc Puskás) als Finalgegner gegenüber. Nach einem 0:2-Rückstand gewann die Walter-Elf das Jahrhundertspiel am Ende des Tages mit 3:2 (Siegtor: Helmut Rahn). Deutschland wurde in einen kollektiven Freudentaumel versetzt und Herberger, Walter, Rahn & Co. faktisch heilig gesprochen .
Manche Deutsche fühlten sich nur wegen des Berner Wunders 1954 wie im Märchen, sondern auch wegen des ersten offiziellen Staatsbesuchs in der beinahe souveränen BRD. Am 8. November gab sich der „König der Könige“, Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, die Ehre und ließ sich von Bundespräsident Theodor Heuss die provisorische Hauptstadt der Bundesrepublik, Bonn, zeigen. (mb)