Was war wann - Info Chronik 1955

Chronik 1955

In den USA begann der Kampf um die Beseitigung der Rassendiskriminierung mit dem „Montgomery Bus Boycott“ in eine neue Phase einzutreten. Die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks hatte sich am 1. Dezember in der Alabama-Stadt Montgomery geweigert, im Bus für einen weißen Mitreisenden aufzustehen. Sie war daraufhin festgenommen worden. Der von der Bürgerrechtsbewegung geschickt publik gemachte Zwischenfall führte zu landesweiten Protesten. Weltberühmt wurde der einjährige Boykott von schwarzen und weißen Bewohnern von Montgomery, die öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt zu nutzen. Im Zusammenhang mit dem Parks-Fall wurde die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln 1956 höchstgerichtlich für verfassungswidrig erklärt.
Nach 1945 (Kriegsende) und 1949 (Gründung der Bundesrepublik und der DDR) war 1955 das dritte große Zäsurenjahr der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit Inkrafttreten der von BRD, Frankreich, Italien, Großbritannien und USA 1954 unterzeichneten Pariser Verträge (u. a. Zweiter Deutschlandvertrag) wurde Anfang Mai das Besatzungsstatut für das westliche Deutschland aufgehoben. Die BRD war nun ein vollständig souveräner Staat. Zumindest beinahe, denn die drei westlichen Siegermächte hatten sich (bis 1991 geltende) Vorbehaltsrechte ausbedungen. Dazu zählte vor allem das Recht, in der BRD Truppen zu stationieren. Ferner verblieb Berlin, dessen westlicher Teil ein Land, kein Bundesland, der Bundesrepublik geworden war, in wichtigen Bereichen unter direkter Kontrolle der Alliierten.
Mit den Pariser Verträgen trat die Bundesrepublik Deutschland auch der NATO bei. Am 2. Januar war bereits die neue westdeutsche Streitkraft gegründet worden (Die Bezeichnung “Bundeswehr“ erhielt sie allerdings erst 1956). Der umstrittenen Wiederbewaffnung waren Jahre erhitzter Debatten um Für und Wider einer deutschen Armee vorangegangen. Die Bundeswehr war vor allem von den USA als deutscher Beitrag zur militärischen Abschreckung gegenüber dem Ostblock gefordert und von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) als Zeichen für Westintegration und Staatssouveränität beworben worden. Am 12. November wurden die ersten 101 Freiwilligen der neuen Streitkräfte vereidigt.
Adenauer gelang es im September bei seinem vielbeachteten Besuch in Moskau, von der sowjetischen Staatsführung die Rückführung der letzten deutschen Kriegsgefangenen zu erwirken. Im Gegenzug nahm Bonn diplomatische Beziehungen zu Moskau auf. Dieser Akt stellte als Zugeständnis eine Ausnahme von der bis 1969 für die bundesdeutsche Außenpolitik geltenden Hallstein-Doktrin dar. Nach der Hallstein-Doktrin unterhielt die BRD keine diplomatischen Beziehungen zu Staaten, die ihrerseits diplomatische Beziehungen zur von Deutschland völkerrechtlich nicht als Staat anerkannten DDR unterhielten oder aufnahmen.
In der von der Sowjetunion am 20. September zum souveränen Staat erklärten DDR wurde 1955 mit dem Aufbau der Nationalen Volksarmee (Gründung: 18. Januar 1956) begonnen. Die NVA wurde Teil des am 14. Mai 1955 gegründeten Anti-NATO-Militärbündnisses der Ostblockstaaten („Warschauer Pakt“).
Auch das nach dem Krieg in Besatzungszonen aufgeteilte Österreich erhielt 1955 seine Souveränität zurück. Österreich erklärte am 26. Oktober „Immerwährende Neutralität“.
Die Endabnahme des VW-Käfers Nr. 1.000.000 am Fließband des VW-Werkes Wolfsburg am 5. August symbolisierte den endgültigen Durchbruch des bundesdeutschen Wirtschaftwunders. Volle Auftragsbücher der Industrie hatten zu Vollbeschäftigung und zu so noch nie erlebter Konsumkraft des Durchschnittsverdieners geführt. Das Wirtschaftswunder hatte aber auch die Integration der Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen entscheidend gefördert. In der unmittelbaren, materiell dürftigen Nachkriegszeit war die Willkommenskultur der Westdeutschen gegenüber ihren ostdeutschen Landsleuten noch sehr häufig nicht von Solidarität, sondern von Besitzstandswahrung und Ausgrenzung geprägt gewesen. Um die Landwirtschaft dem Wirtschaftstempo der Industrie und des Handels anzupassen, wurde 1955 mit dem „Grünen Plan“ ein umfangreiches staatliches Subventionsprojekt aufgelegt. Im Ergebnis stieg die Produktivität der deutschen Agrarproduktion bei gleichzeitiger Konzentrierung der Landflächen in immer weniger Hände.
Deutsche Bauern und Nicht-Bauern konnten mit einem Musik-Trend, der 1955 in den USA für Furore sorgte, zumeist nicht viel anfangen: Bill Haleys „Rock Around the Clock“ revolutionierte die Musikwelt in dem Jahr, in dem deutsche Bauern und Nicht-Bauern vornehmlich Bruce Lows „Das alte Haus von Rocky-Docky“ oder Caterina Valentes „Ganz Paris träumt von der Liebe“ hören mochten. Allerdings begann sich die Unterhaltungskultur mit Rock endgültig in Richtung der Abspaltung einer eigenständigen Jugendkultur, die sich nicht mehr als artiges Anhängsel der Erwachsenenwelt verstand, zu entwickeln. Die weltweite Hysterie bei der U-20-Generation nach dem Unfall-Tod (30. September) des Kino-Idols James Dean („…denn sie wissen nicht, was sie tun“) war ein viele Ältere verstörendes Indiz für diese Entwicklung.
Für moralinsaure Verstörung sorgte auch die Veröffentlichung des sexlastigen Romans “Lolita“ von Vladimir Nabokov.
Beruhigen konnten sich die Gemüter beim 1955 erstmalig televisionär ausgestrahlten Quiz "Was bin ich?" ("Welches Schweinderl hätten´s denn gern?") mit dem sympathisch-biederen Rate-Onkel Robert Lembke vom Bayerischen Fernsehen. (mb)