Was war wann - Info Chronik 1956

Chronik 1956

Die wichtigsten Ereignisse in internationaler Hinsicht standen 1956 zum einen im Zusammenhang mit der neuen Ausrichtung der Kräfteverhältnisse im Ostblock nach dem Beginn der von Kreml-Chef Chruschtschow eingeleiteten poststalinistischen „Tauwetter“-Periode in der Sowjetunion. Dabei hat derUngarnaufstand mit Sicherheit weltweit für größte Aufmerksamkeit gesorgt. Von hoher Brisanz war aber auch die Suez-Krise, die neben ihrer tagespolitischen Bedeutung auch als Zäsur für das endgültige Ende traditioneller, im Denken der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts verhafteter Außenpolitik der alten Großmächte Frankreich und Großbritannien gewertet wurde.
Aus den nach dem Tod des Kreml-Diktators Josef Stalin im Jahr 1953 ausgebrochenen Flügelkämpfen um die Macht in der Sowjetunion war 1955/56 KPdSU-Parteichef Nikita Chruschtschow zumindest vorerst als neuer starker Mann hervorgegangen. Endgültig sichern konnte er diese Position allerdings erst 1957/58. In einer für ihn politisch riskanten, zunächst noch geheim gehaltenen Rede vor den Delegierten des XX. KPdSU-Parteitages (25. Februar) kritisierte er bestimmte Verbrechen von Stalin sowie den um Stalin getriebenen Personenkult. Wenig später wurde die Rede auszugsweise veröffentlicht und leitete damit in der UdSSR und den anderen Ostblock-Staaten eine von den Hardlinern in den kommunistischen Staatsparteien als „Revisionismus“ angegriffene Periode der Entstalinisierung und vorsichtigen Entspannung nach außen und innen ein („Tauwetter“) ein. Der Kurs der Entstalinisierung löste in Stalins Heimat Georgien Anfang März Demonstrationen gegen Chruschtschow aus, die am 9. März zu einem offenen Aufstand in der georgischen Hauptstadt Tiflis eskalierten. Die energische Reaktion der sowjetischen Staatsmacht, den Aufstand mit massiver Militärmacht niederzuschlagen, wurde innerhalb der KPdSU als deutlicher Hinweis von Chruschtschow an die Stalin-Anhänger in der Partei verstanden, sich dem neuen Kurs nicht zu widersetzen. In der Öffentlichkeit wurde das „Massaker von Tiflis“ (etwa 150 Tote) als Tabu-Thema behandelt.
Die Signale aus der Moskauer Zentrale ermunterten reformerische Kräfte im Ostblock, Alternativen zu Dirigismus stalinistischer Ausprägung zu fordern. Häufig kollidierten diese Reformansätze aber mit auch von Chruschtschow verteidigten dogmatischen Vorstellungen und führten in Folge zu Auseinandersetzungen, bei denen erneut auch militärische Mittel eingesetzt wurden. Unzufriedenheit mit der angespannten wirtschaftlichen Situation und Kontroversen um den zukünftigen politischen Kurs hatten in Polen nach dem Tod des stalinisticshen Parteichefs Boleslaw Bierut vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Sowjetunion im Juni zu Massendemonstrationen geführt. Als am 28. Juni Angehörige der polnischen Staatssicherheit bei einer Demonstration in Posen auf protestierende Arbeiter schossen, kam es zum offenen bewaffneten Aufstand. Die polnische Arme schlug den Aufstand bis zum 30. Juni nieder (57 Tote). Die Atmosphäre im Land blieb auch in den folgenden Monaten explosiv. Erst mit dem Beginn des vom neuen Parteichef Wladyslaw Gomulka, der unter Bierut als politischer Gefangener inhaftiert gewesen war, eingeschlagenen Reform-Kurses („Polnischer Oktober“) entspannte sich im Herbst die Situation.
Die Ereignisse in Posen hatten auch in Ungarn Stimmen immer lauter werden lassen, die eine Reform des sozialistischen Systems forderten. Aus dieser zunächst partei-reformistischen Opposition entwickelte sich bis Ende Oktober eine anfangs auf studentische Kreise beschränkte Bewegung, die das gesamte System in Frage stellte. Es wurden freie Wahlen, nationale Souveränität und Abkehr vom Warschauer Pakt gefordert. Am 23. Oktober versammelte sich eine 200.000 Menschen umfassende Menge in Budapest und demonstrierte für mehr Freiheit. Nachdem vom Rundfunkgebäude auf die Menge geschossen wurde, brach der bewaffnete Aufstand los, der am nächsten Tag auch das übrige Land erfasste. Am 30. Oktober wurde der von den Stalinisten als „Dissident“ bezeichnete Reformkommunist Imre Nagy vom ZK der ungarischen KP zum Regierungschef ernannt. Nagy erklärte den verhassten Staatssicherheitsdienst für aufgelöst und versprach freie Wahlen. Als er am 1. November die Neutralität seines Landes proklamierte und den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Bündnis in Aussicht stellte, hatte er in den Augen Chruschtschows die Toleranzgrenze überschritten. Die Sowjetarmee griff ein und es kam bis zum 15. November insbesondere in Budapest zu heftigen Kämpfen zwischen sowjetischen Soldaten und letztlich unterlegenen ungarischen Aufständischen. Es wurden bei den Kämpfen schätzungsweise etwa 1000 Sowjetsoldaten und 4000 Ungarn getötet. Zigtausende Ungarn flohen über Österreich in den Westen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes und der Installierung einer moskau-hörigen Staats- und Parteispitze unter Führung von Janos Kadar kam es zu umfangreichen “Säuberungen“ in Ungarn. Imre Nagy wurde verhaftet und 1958 hingerichtet. Waren die Entwicklungen in Polen vom Westen kaum registriert worden, so haben die dramatischen Ereignisse in Ungarn im Oktober für enorme Aufmerksamkeit und Anteilnahme gesorgt. Die USA und deren Verbündete beließen es bei Protesten gegen das Eingreifen der Sowjets in Ungarn und stellten damit indirekt klar, dass sie das Gebiet des Ostblocks als „Hintergarten der Sowjetunion“ akzeptiert hätten. Zudem war die Aufmerksamkeit der westlichen Politiker im Oktober 1956 vor allem durch die Suez-Krise gebunden gewesen. Auslöser für diese internationale Krise war die Frage des Zugriffs auf den wirtschaftlich und strategisch überaus wichtigen Suezkanal. Die den Suezkanal betreibende private Gesellschaft („Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez“) hatte sich 1869 die Konzession für den Kanal für 99 Jahre gesichert. Großbritannien sicherte sich Militärpräsenz-Rechte in der Kanalzone. Nachdem sich Gamal Abdel Nasser 1952 in Ägypten an die Macht geputscht hatte, war die populistische Forderung nach Nationalisierung des Suezkanals eine der Hauptgründe für die massive Verschlechterung des britisch-ägyptischen Verhältnisses. Durch das Suez-Abkommen 1954, das den Abzug der britischen Truppe bis 1956 regelte und den internationalen Status der Kanalzone (u. a. freie Durchfahrt für alle Schiffe) festschrieb, wurde die Lage vorübergehend entspanNachdem Nasser, der sich außenpolitisch der Sowjetunion angenähert hatte, den Kanal vertragswidrig im Juli 1956 verstaatlicht hatte, brach der Konflikt erneut auf. Großbritannien sah seine Interessen massiv bedroht. Ebenso Frankreich, das in seiner nordafrikanischen Kolonie Algerien in einem Krieg mit der Freiheitsbewegung FLN verstrickt war. Die FLN wurde offen von Nasser unterstützt. Als weitere Konfliktpartei spielte auch Israel eine wesentliche Rolle in der Suez-Krise. Nasser, der palästinensische Guerilla-Aktionen gegen Israel unterstützte, hatte nicht nur den Suezkanal für israelische Schiffe sperren lassen, sondern auch den einzigen Zugang Israels zum Roten Meer, den Golf von Akaba, abgeriegelt. Nach dem Fehlschlagen von Verhandlungen mit Ägypten beschlossen die Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Israel Nasser durch gemeinsames militärisches Vorgehen zu stürzen und die Kanalzone zu sichern. Israel verfolgte daneben das Ziel der Eroberung der Sinai-Halbinsel und des Gaza-Streifens. Nach einem abgelehnten Ultimatum an Nasser, aus der Kanalzone abzuziehen, wurden am 31. Oktober ägyptische Ziele von britischen und französischen Flugzeugen bombardiert. Gleichzeitig drangen israelsche Truppen im Sinai-Gebiet vor. Nach der verheerenden Beschießung von Port Said durch britische Kriegesschiffe landeten britische Truppen in Ägypten und schlugen die ägyptische Armee in die Flucht. Entscheidend für die weitere Entwicklung der Krise war die Haltung der USA. US-Präsident Dwight D. Eisenhower war im Kalten Kriege an guten Beziehungen zu Ägypten interessiert, zumal sich die Sowjetunion auf internationaler Ebene als Beschützermacht der von Ägypten repräsentierten Dritten Welt in Position brachte. Der US-Druck (u. a. Streichung von Entwicklungshilfe für Israel, Drohung mit Finanzsanktionen) bewirkte die Räumung der Kanalzone durch die britischen Truppen bis zum Dezember. Israel räumte das Sinai-Gebiet wenig später.
Für London bedeutete diese Entwicklung das demütigende Eingeständnis, eine zur Sekundärmacht abgesunkene Ex-Großmacht zu sein. Die USA und die UdSSR hatten die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Nachkriegszeit sehr deutlich gemacht. Nasser wurde zum Helden der arabischen Welt und die Freiheitsbestrebungen antikolonialistischer Bewegungen, insbesondere in Algerien, erfuhren enormen Auftrieb.
Die deutsche Politik im Jahr 1956 stand ebenfalls im Zeichen des Ostwest-Konflikts. Auf die Wiederbewaffnung der von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) regierten Bundesrepublik (Gründung der Bundeswehr 1955) reagierte die von SED-Parteichef Walter Ulbricht geführte DDR am 18. Januar 1956 mit der Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA). Anders als die Bundeswehr, für die ab Juli Wehrpflicht für Männer ab 18 Jahren galt, war die NVA (bis 1962) eine reine Freiwilligenarme. Bundesdeutsche Einwohner von West-Berlin waren von der Wehrpflicht wegen des Sonderstatus von Berlin ausgenommen. Als Beitrag der BRD zum Kalten Krieg galt manchen Beobachtern das Verbot der DDR-nahen KPD. Nach dem Verbot der rechtsradikalen SRP im Jahr 1952 erklärte das Bundesverfassungsgericht 1956 zum zweiten Mal eine politische Partei für verfassungswidrig.
1956 war auch das Jahr, in dem die Besucherzahlen in den Kinos nie wieder erreichte Rekorde auswiesen. Das immer noch von lediglich wenigen Hunderttausend Deutschen empfangene TV-Programm in der Prä-Video- und DVD-Zeit war eher dürftig. Auf der anderen Seite konnten sich fast alle Deutschen im Wirtschaftswunderland leisten, Billets an der Kinokasse zu lösen. 1956 wurden 817 Millionen Eintrittskarten verkauft (1965 waren es nur noch knapp 300 Millionen). Kinohits des Jahres waren unter anderem der französische Soft-Erotik-Film „… und immer lockt das Weib“ mit Brigitte Bardot, der James-Dean-Streifen „Giganten“ und der schmunzelige „Hauptmann von Köpenick“ mit Heinz Rühmann, einem der bundesdeutschen Superstars der 50er. Jede Menge in Gebirgslandschaften verortete Heimatfilme wie „Der Meineidbauer“, „Wo der Wildbach rauscht“ oder „Die Christel von der Post“ zogen die Massen in die Lichtspielhäuser. Mit „Die Halbstarken“ (Hauptrolle: Horst Buchholz) wurde auf ein die Bürgerwelt schockierende neue Erscheinung aufmerksam gemacht. Häufig im Anschluss an Sport- oder Musikveranstaltungen kam es zu jugendliche Pöbeleien, Sachbeschädigungen und Schlägereien großen Ausmaßes. So randalierten am 30. Dezember 4000 „Halbstarke“ nach einem Bill-Haley-Rock´n´Roll-Film durch Dortmund und zeigten bei diesem Großkrawall betont wenig Respekt vor der soviel Frechheit im Adenauer-Staat nicht gewöhnten Polizei. (mb)