Was war wann - Info Chronik 1957

Chronik 1957

Nach zweijährigen Verhandlungen wurde am 25. März mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge (Inkrafttreten 1958) ein wichtiger Schritt in Richtung Europäische Union getan. Durch das in Rom durch die Vertreter von Frankreich, Großbritannien, Italien, der Benelux-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Vertragswerk, welches den EWG-Vertrag, den Euratom-Vertrag und das Abkommen über gemeinsame Organe umfasste, wurden insbesondere die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie ein europäisches Parlament und ein europäischer Gerichtshof ins Leben gerufen. Ein Hauptantrieb für das Bestreben, in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht eine Einheit in Frieden zu finden, war die Sehnsucht der europäischen Völker nach zwei verheerenden Weltkriegen die tödlichen Mechanismen nationalstaatlicher Egoismen zu ersetzen. Die Grundsituation im globalen Maßstab stellte sich 1957 diesem Ansatz vollkommen entgegengesetzt dar. Die beiden Supermächte USA und UdSSR standen sich weiterhin misstrauisch belauernd gegenüber. Ebenso ihre jeweiligen in NATO und Warschauer Pakt nachgeordneten Bündnisstaaten. Die Staaten der so genannten „Dritten Welt“ waren zum großen Teil bündnisunabhängig und versuchten nicht selten bei entsprechender, für die Supermächte wichtiger geostrategischer Lage ihren Vorteil durch Anlehnung an die eine oder andere Seite zu sichern. So hatte zum Beispiel Ägypten bis 1952 im politischen Windschatten Großbritanniens und der USA verharrt. Der nach einem Militärputsch 1952 den Kurs im Nilland bestimmende Gamal Abdel Nasser hatte sich insbesondere im Zusammenhang mit der Suez-Krise 1956 zunehmend der Sowjetunion genähert. US-Präsident Dwight D. Eisenhower, hatte 1956 die alte Nahost-Kolonialmacht Großbritannien bei ihrem Versuch, in Ägypten London genehme Verhältnisse durch eine militärische Intervention herzustellen, deutlich auf die Plätze verwiesen. Wenig später machte Eisenhower aber in einer nach ihm benannten Doktrin auch deutlich, dass die USA nicht nur neo-kolonialistischen Abenteuer in der Region energisch entgegentreten würden. Die am 5. Januar 1956 publik gemachte Eisenhower-Doktrin stellte klar, dass die USA überall in der Welt prowestliche Regierungen unterstützen würden, die von kommunistischer innerer oder äußerer Bedrohung betroffen wären. Die Doktrin schloss neben einer konventionellen Militärintervention auch den Einsatz von Nuklearwaffen ein. Die reichlich Spielraum für Interpretationen lassende Eisenhower-Doktrin war nach der Suez-Krise ein deutliches Signal in Richtung Sowjetunion, ihr Engagement im Nahen und Mittleren Osten zu verringern und führte zu einer weiteren Verschärfung des Kalten Krieges. Bereits ein Vierteljahr nach Erlass der Doktrin griff US-Militär tatsächlich entsprechend in die inneren Verhältnisse eines Nahost-Staates ein. Zur Unterstützung des von Entmachtung durch den linksnationalistischen, prosowjetischen Premierminister Nabalusi bedrohten prowestlichen Königs Hussein beorderte Eisenhower die 6. US-Flotte mit zwei Flugzeugträgern ins östliche Mittelmeer, um zu zeigen, dass die USA einem linken Umsturz in Jordanien nicht tatenlos zusehen würden. König Hussein konnte sich in dem Machtkampf schließlich durchsetzen. Zum gefährlichen, einen Atomkrieg nicht ausschließenden Muskelspiel der Großmächte gehörte 1957 auch der Start der ersten sowjetischen Interkontinental-Rakete im August. Damit war klar, dass sowjetische Atomwaffen jeden Punkt der Erde erreichen konnten.
Zu einem weiteren Schock in den USA führte wenig später die Meldung, dass die UdSSR am 4. Oktober erfolgreich den künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 in die Umlaufbahn geschickt hatten. Am 29. Juli 1955 hatte Eisenhower verkündet, dass die USA mit einem Erdsatelliten-Projekt beginnen würden. Kurz danach verkündete die sowjetische Führung, ein ähnliches Projekt zu verfolgen: „Der Wettlauf im All“ hatte begonnen. Die bisherige Gewissheit der USA, technologisch weltführend zu sein, wurde erheblich erschüttert. Der propagandistisch von Moskau ausgiebig genutzte Erfolg von Sputnik 1 führte im Westen zu übertriebenen Ängsten, der Sowjetunion technisch und damit auch militärisch unterlegen sein zu können. Am 3. November wurden diese Ängste noch weiter geschürt: Die UdSSR hatten mit der unglücklichen Straßenhündin Laika erstmals ein Lebwesen ins All geschickt. Laika überlebte ihren tierquälerischen Ausflug an Bord von Sputnik 2 nicht. Die neuen technologischen Möglichkeiten, die sich im frühen Atomzeitalter auftaten, stießen zunehmend auf Besorgnis. Dabei spielten neben den berechtigten Ängsten vor dem militärischen Einsatz von Nuklearwaffen auch bereits Zweifel an der technischen Beherrschbarkeit der Atomtechnologie eine Rolle. Diese Bedenken wurden im Oktober durch den Brand im nordenglischen Atomreaktor Windscale, der für die Produktion von Militär-Plutonium diente, bestärkt. Der als einer der schwersten Störfälle der Nuklear-Geschichte geltende Windscale-Brand setzte erhebliche Menge von radioaktiven Stoffen frei. 18 renommierte deutsche Atomexperten („Göttinger Achtzehn“), darunter die Physik-Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn und Werner Heisenberg, formulierten im April ihre Besorgnis in Hinblick auf Atomwaffen in der „Göttinger Erklärung“ als Reaktion auf die verharmlosende Bemerkung von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), dass Atomwaffen lediglich eine Art Artillerie seien. Unterstützt wurde Adenauer vom Atomwaffen für die Bundeswehr fordernden Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) (bis 1956 Atomminister). Geschadet haben Adenauer und Strauß ihre Nuklear-Ansichten beim Wahlvolk nicht: Die Unionsparteien erhielten bei den Bundestagswahlen am 15. September die absolute Mehrheit (50,2 %). Die mit dem Slogan „Kampf dem Atomtod“ in den Wahlkampf gezogene SPD erhielt lediglich 31,8 % der Zweitstimmen. Begünstigt wurde der auf Adenauer zugeschnittene Wahlkampf der Union (Slogan: „Keine Experimente“) auch durch den Erfolg in der Saar-Frage. Das seit Ende des Zweiten Weltkriegs von Frankreich als Protektorat beherrschte Saargebiet war nach einer Volksabstimmung und dem 1956 ausgehandelten deutsch-französischen Saar-Vertrag am 1. Januar als „Bundesland Saarland“ Teil der Bundesrepublik geworden. Hatte sich Frankreich in der Saar-Frage als fairer Verhandlungspartner erwiesen, fiel die französische Führung in der Algerien-Frage in spätkolonialistische Muster zurück. Während es Tunesien und Marokko im Vorjahr Unabhängigkeit zuerkannt hatte, verharrte Paris darauf, Algerien als Teil Frankreichs zu betrachten. Der seit 1954 tobende Kampf gegen die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN eskalierte 1957 zur „Schlacht von Algier“. Die Brutalitäten der eingesetzten französischen Fallschirmjäger entsetzten die Welt und führten zu zahlreichen Sympathie-Bekundungen für die Sache der algerischen Nationalisten.
In den USA kam es im September wegen rassistischer Auswüchse zu einer großes internationales Aufsehen erregenden Konfrontation. Der Gouverneur von Arkansas hatte seiner Nationalgarde befohlen, neun schwarze Schüler einer High School in der Staats-Hauptstadt Little Rock den Zugang zu der seiner Rechtsauffassung nach nur Weißen vorbehaltenen Schule zu verwehren. Um einer bereits 1954 ergangenen höchstrichterlichen Entscheidung, die Rassentrennung an Schulen für verfassungswidrig erklärt hatte, Geltung zu verschaffen, schickte Präsident Eisenhower 1000 Fallschirmjäger, um im Zuge einer Bundesexekution den „Little Rock Nine“ zu ihrem Recht zu verhelfen. Im selben Monat kam mit dem Ford Edsel einer der legendärsten Flops der US-Automobil-Geschichte auf den Markt. Der etwa gleichzeitig erstmals vorgestellte Kleinwagen Trabant der DDR-Autofabrik VEB Sachsenring entwickelte sich dagegen zu einem Verkaufschlager. Bis 1991 wurden über drei Millionen Trabant verkauft. Allerdings nur sehr wenige in den USA. Den Soundtrack für das Jahr 1957 lieferten unter anderem Elvis Presley mit „All Shook Up“ und “Jailhouse Rock“, Paul Anka mit “Diana“, Sam Cooke mit „Summertime“ und Pat Boone mit „April Love“, Deutsche Schlagerfans freuten sichh über „Cindy, Oh, Cindy“ von Margot Eskesn und dachten an die Heimat, wenn Freddy Quinn seinen Hit „Heimatlos“ sang. Kinogänger begeisterten sich an David Leans Kriegsfilm „Die Brücke am Kwai“, an Heinz Ehrhardt als „Witwer mit fünf Töchtern“ oder an Romy Schneider im dritten „Sissi“-Film „Schicksalsjahre einer Kaiserin“. (mb)