Was war wann - Info Chronik 1959

Chronik 1959

Der Kalte Krieg beherrschte auch 1959 weiterhin die politische Großwetterlage. Deutschland, das als geteiltes Land vom Ost-West-Konflikt in ganz besonderer Weise betroffen war, beschäftigte 1959 insbesondere die Frage der staatsrechtlichen Zukunft von West-Berlin. Faktisch war West-Berlin ein vollständig von DDR-Gebiet umgebendes bundesdeutsches Bundesland mit Sonderstatus. West-Berlin unterstand nicht nur formell, sondern auch in Bezug auf viele Belange des täglichen und politischen Lebens der Oberherrschaft der drei westlichen Besatzungsmächte. Ost-Berlin (DDR-offizielle Bezeichnung 1957 -1961: „Demokratisches Berlin“) hatte eine formell vergleichbare Rechtsstellung als ein der besonderen Oberhoheit der UdSSR unterstehendes des Gebiet. Allerdings waren die tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen der als Regierungssitz der DDR dienenden östlichen Teilstadt von Berlin überaus eng. Der im Vorjahr vom sowjetischen Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow gemachte Vorschlag, West-Berlin als „Freie Stadt“ den Status eines dritten deutschen Staates zu geben, wurde nicht nur von den West-Alliierten abgelehnt, sondern auch von der Bundesregierung. Auch Chruschtschows Vorschlag der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die BRD und die Bildung einer blockfreien BRD-DDR-Konföderation stieß im Januar 1959 auf harsche Ablehnung durch den sich eindeutig auf Westkurs festgelegten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU).
Trotz erheblicher Differenzen in dieser und zahlreicher anderer globalpolitischen Fragen keimte 1959 ein wenig Hoffnung in der Weltöffentlichkeit auf, dass die Supermächte sich bemühen könnten, Konfrontationspotenzial abzubauen und den Dialog zu suchen. Erster Ansatz war ein als „Küchendebatte“ („Kitchen Debate“) berühmt gewordenes, nahezu informelles Treffen von Chruschtschow mit US-Vize-Präsident Richard Nixon am 24. Juli. Nixon hatte die im Rahmen eines Kulturaustauschprogramms im Moskauer Sokolniki-Park veranstaltete „American National Exhibition“ besucht und dabei Chruschtschow beim Bewundern einer US-Musterküche angetroffen. Nach launigen Bemerkungen des Sowjet-Chefs über die Merkwürdigkeiten US-amerikanischer Küchentechnologie beglückwünschte Nixon sein Gegenüber artig für die sowjetischen Fortschritte in der Raumfahrt, um dann vor laufenden TV-Kameras eine mutmaßlich improvisierte Live-Diskussion über Nach- und Vorteile beider politischer Systeme zu beginnen. Chruschtschow gab dem Amerikaner wacker Kontra und für beide Seiten stellte sich die freundliche Debatte als PR-Win-Win-Situation dar. Chruschtschow nahm die US-Einladung, sich die USA anzusehen, an. Am 15. September traf er tatsächlich als erster sowjetischer Staatsführer zu einem Besuch in den USA ein. Wichtigstes konkretes Resultat der Reise war die Rücknahme der 1957 von US-Präsident Dwight D. Eisenhower aufgestellten Doktrin, prowestliche Regierungen jederzeit mit allen verfügbaren Mitteln, Atomwaffeneinsatz eingeschlossen, gegen kommunistische Gefährdung zu unterstützen.
Der vorsichtige Koexistenz-Kurs der USA und der UdSSR wurde im Dezember durch die Unterzeichnung des Antarktis-Vertrages in Washington bekräftigt. Der 1961 in Kraft tretende Vertrag war von den USA, der Sowjetunion und zehn weiteren Staaten, die Gebietsansprüche auf Teile des antarktischen Kontinents erhoben, geschlossen worden. Kern des zunächst auf 30 Jahre Vertragsdauer ausgelegten Abkommens war es, im Geiste friedlicher Koexistenz Gebietsansprüche ruhen zu lassen und gemeinsam in der als militärfreie Zone deklarierten Antarktis friedliche Forschung zu betreiben.
1959 zeichnete sich am Horizont ein neuer Konflikt an, der das Projekt „Koexistenz“ bald massiv bedrohen würde. Im „Hinterhof der USA“, auf der karibischen Insel Kuba, war der von den USA lange unterstützte Diktator Fulgencio Batista von den Guerilla-Truppen der Bewegung des 26. Juli („M-26-7“) gestürzt worden. Die politisch heterogene M-26-7 war von dem linksbürgerlichen Pragmatiker Fidel Castro und dem marxistischen Idealisten Che Guevara zum Sieg über das korrupte, mafia-nahe Batista-Regime geführt worden. Die bald von Washington signalisierte Gegnerschaft zu den neuen Machthabern in Havanna begünstigte die Hinwendung von Castros Kuba zum Ostblock. Die Entwicklung eskalierte in den Folgejahren und brachte die Welt 1961 sogar an den Rand eines Atomkriegs („Kuba-Krise“).
In der BRD war Bundeskanzler Adenauer 1959 zwar immer noch die dominierende politische Persönlichkeit, doch schien der Zenit des „Alten“ allmählich überschritten zu sein. Noch war die in der CDU/CSU geäußerte Kritik an Adenauers autokratischem Führungsstil noch eher verhalten, doch wies seine Niederlage in der „Bundespräsidenten-Krise“ auf ein beginnendes Schwinden seiner Autorität hin. 1959 neigte sich die zweite und damit letzte Amtszeit von Bundespräsident Theodor Heuss dem Ende zu. Adenauer kündigte am 8. April überraschend an, für das höchste Staatsamt kandidieren zu wollen. Dabei wollte der 83-jährige Kanzler sich keineswegs an der rein repräsentativen Amtsauffassung von Heuss orientieren, sondern strebte eine Politisierung der Präsidentenstellung an. Seine Vision von einer Präsidialrepublik sah Adenauer vom Grundgesetz abgedeckt, musste sich aber schließlich von Verfassungsrechtlern in einer von ihm als Niederlage erlebten Debatte eines Besseren belehren lassen. Im Juni zog er seine Kandidatur-Ankündigung wieder zurück. Dabei hatte auch motivierend gewirkt, dass er verhindern wollte, dass der in der Bevölkerung und in der CDU populäre, aber von Adenauer wenig geschätzte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard als sein Nachfolger ins Bundeskanzleramt ziehen würde.
Die „Präsidenten-Krise“ wurde von der größten bundesdeutschen Oppositionspartei, der SPD, weidlich für Anti-Kanzler-Rhetorik ausgenutzt. 1959 war auch das Jahr, in dem sich die Partei von Bebel und Schumacher ideologisch neu aufstellte. Durch das (bis 1989 geltende) „Godesberger Programm“ veränderte sich die SPD von einer Arbeiterpartei sozialistischer und antimilitaristischer Ausrichtung in eine Volkspartei, die sich zu Marktwirtschaft und Bundeswehr bekannte.
1959 war in populärhistorischer Hinsicht unter anderem wegen der Präsentation der ersten Barbie-Puppe und der Veröffentlichung des ersten Asterix-Comix bedeutsam.
Nicht nur die Jugendwelt war 1959 durch den im Don-McLean-Hit „American Pie“ (1971) verewigten „Tag, an dem die Musik starb“ entsetzt. Bei dem Absturz eins Kleinflugzeugs über Iowa kamen am 3. Februar alle vier Insassen ums Leben, darunter die US-Rock-Stars Buddy Holly (22) und Ritchie Valens (17). Buddy Holly hatte unter anderem mit „Doesn't Matter Anymore" und "Peggy Sue“, Ritchie Valens mit „La Bamba“ die Charts gestürmt. (mb)