Was war wann - Info Chronik 1973

Chronik 1973

Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens Anfang 1973 in Paris bedeutete den Beginn vom Ende des nahezu ein Jahrzehnt die Schlagzeilen der Weltpresse beherrschenden Vietnam-Kriegs. Dieser hoffnungsvolle Schritt konnte die Position des in die Watergate-Affäre verstrickten US-Präsidenten Nixon letztlich aber nicht sichern. 1973 brachen in Südamerika und Nahost neue Konflikte blutig auf: Beim Putsch von rechten Militärs kam in Chile der gewählte Präsident Salvador Allende ums Leben; im Jom-Kippur-Krieg schlug Israel einen Überraschungsangriff arabischer Staaten zurück. Bombenanschläge in der Londoner City ließen den Nordirland-Konflikt auf die britische Hauptinsel übergreifen. In Deutschland gehörten die Ostverträge weiter zu den wichtigsten politischen Streitthemen. Die (erste) Ölkrise sorgte für beschauliche Fußgängertouren auf deutschen Autobahnen.
Hinter dem Rücken der südvietnamesischen Verbündeten hatte Präsidentenberater Henry Kissinger im Auftrag von Nixon Geheimverhandlungen mit der nordvietnamesischen Seite geführt. Ziel war ein Rückzug der US-Amerikaner ohne Gesichtsverlust. 1972 war es mit dem nordvietnamesischen Chef-Unterhändler Le Duc Tho zu einem tragfähigen Verhandlungsergebnis gekommen: Die US-Truppen sollten binnen zweier Monate aus Südvietnam abziehen, alle Kriegsgefangenen sofort ausgetauscht werden und das von den USA gestützte autoritäre Präsidial-Regime des Ex-Generals Nguyen Van Thieu im Gegenzug von Nordvietnam anerkannt werden. Am 27. Januar 1973 wurde in Paris endlich ein Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet. Eine Kernvereinbarung war die Festlegung von freien Wahlen unter Einbeziehung der Nationalen Befreiungsfront (NLF, Vietcong). Thieu stimmte dem Pariser Abkommen im Vertrauen auf geheime Zusagen Nixons, bei einen Vertragsbruch der anderen Seite erneut militärisch einzugreifen, schließlich zu.
Im März waren alle US-Soldaten bis auf 9000 Militärberater aus Südvietnam abgezogen. Die Bombardierungen von Vietcong- und Rote-Khmer-Stellungen in Kambodscha wurden aber noch bis zum August fortgesetzt. In Südvietnam kam es trotz Waffenstillstandabkommens regelmäßig zu Kämpfen zwischen Vietcong und südvietnamesischen Truppen. Ohne US-Unterstützung steuerte der innerlich zerissene und korrupte Südvietnam-Staat zusehends seinem Untergang entgegen.
Nixon konnte sein geheimes Hilfe-Versprechen an Thieu nicht einlösen, weil er sich in den USA von einem Amtsenthebungsverfahren („Impeachment“) in Verbindung mit der Watergate-Affäre bedroht sah und deshalb außenpolitisch kaum noch handlungsfähig war. 1972 waren im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Einbrecher in die Wahlkampfzentrale von Nixons demokratischen Gegenkandidaten George McGovern im Hotel Watergate (Washington, D.C. ) eingedrungen, um Abhörwanzen zu installieren. Unter anderem wegen der investigativen Journalistenarbeit der „Washington Post“-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein kamen immer mehr Details der Verstrickungen des Weißen Hauses zum Vorschein. Nixon, der vermeiden wollte, dass ihn belastende Tonbänder veröffentlicht würden, ließ den hartnäckigen Chefermittler im Watergate-Untersuchungsausschuss, Archibald Cox, entlassen. Damit verstieß er gegen zentrale Prinzipien der Amtsführung und stieß damit auch bei bisherigen Parteigängern auf Ablehnung. Als Folge wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet, das mit dem Rücktritt des Präsidenten im August 1974 endete. Bereits im Oktober 1973 war Nixons Vizepräsident Spiro Agnew zurückgetreten. Ihm war Bestechlichkeit vorgeworfen worden.
Blutig endete die Präsidentschaft von Nixons chilenischem Amtskollegen Salvador Allende. Der Sozialist Allende war 1970 als Spitzenkandidat der Unidad Popular („Volksfront“) nach demokratischen Wahlen an die Macht gekommen. Die von ihm angeordnete Verstaatlichung von Bodenschätzen und Banken sowie seine Agrar- und Sozialreformen brachten ihm Beifall bei großen Teilen der Bevölkerung und Hass bei den Enteigneten ein. Die US-Regierung reagierte mit einem Handelsembargo und förderte so die Entstehung einer Wirtschaftskrise in Chile. Nach der Linksextremisten zugeschriebenen Ermordung eines christdemokratischen Politikers geriet das Land durch Polarisierung und Konfrontation der politischen Kräfte in eine Staatskrise. Am 11. September putschte das Militär unter Führung von General Pinochet und stürmte den Präsidentenpalast. Um nicht in die Hände der Putschisten zu geraten, erschoss sich Allende. Für Chile begann eine bleierne Zeit von 15 Jahren Militärdiktatur.
In Griechenland begann im November 1973 mit einem Studenten-Aufstand das Ende der seit 1967 herrschenden Obristen-Dikatur. Diktator Papadopoulos, der signalisiert hatte, demokratische Reformen in Erwägung zu ziehen, wurde von Hardlinern um den Militärpolizei-Chef Ionnadis gestürzt. Ionnadis gelang es aber nicht, sich auf Dauer zu behaupten. Sein Sturz 1974 machte den Weg für einen Neuanfang demokratischer Verhältnisse möglich.
1973 wurde in der britischen Unruhe-Provinz Nordirland ein Referendum abgehalten, bei dem sich die Stimmberechtigten für oder gegen den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich aussprechen sollten. Die von der katholischen Bevölkerungsminderheit als „scheindemokratisch“ abgelehnte und boykottierte Volksabstimmung endete am 8. März erwartungsgemäß mit einem Sieg der protestantischen Pro-England-Anhänger. IRA-Terroristen zündeten aus Protest am selben Tag in London vor dem berühmten Gerichtsgebäude Old Bailey und vor einem Armee-Gebäude Bomben: Ein Todesopfer, über 250 Verletzte.
Ägypten und Syrien, die Verlierer des Sechstagekriegs von 1967, versuchten im Oktober 1973 eine militärische Revanche. Am 6. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, drangen durch Verbände weiterer arabischer Staaten verstärkte ägyptische und syrische Truppen auf von Israel kontrolliertes Gebiet vor. Die zunächst überraschten und in die Defensive gedrängten Israelis konnten nach zwei Tagen erfolgreich in die Gegenoffensive gehen und die Invasoren schlagen. Am 26. Oktober endete der vierte arabisch-israelische Krieg mit einem Waffenstillstandstand. Etwa 2600 Israelis und schätzungsweise 10.000 Araber waren gefallen.
Während des Jom-Kippur-Kriegs und danach wurde der Ölexport in die westlichen Länder von der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) aus politischen Gründen erheblich gedrosselt. Als Folge traten in den USA, der Bundesrepublik Deutschland und anderen Pro-Israel-Staaten Engpässe bei der Treibstoffversorgung auf. Der Ölpreis stieg immens. Um Treibstoff zu sparen, griff die Bundesregierung unter anderem zum, im Ergebnis kaum Einspareffekte bewirkenden, Mittel des allgemeinen Sonntag-Fahrverbots. Am 25. November sowie den ersten drei Dezember-Sonntagen blieben der Familien-PKW und der Firmen-LKW in der Garage. Radfahrer und Spaziergänger hatten die seltene Gelegenheit, deutsche Autobahnen zu erkunden. Unter dem Schock der Ölkrise beschloss die Bundesregierung, 40 Kernkraftwerke zu bauen, um von den Ölimporten unabhängig zu werden.
Die Gemüter in der BRD wurden auch von der Debatte um die Ostverträge erhitzt. Vor der für das Inkrafttreten des 1972 ausgehandelten Grundlagenvertrags mit der DDR notwendigen Ratifizierung des Vertrags durch den Bundestag am 11. Mai kam es zu wochenlangen Redeschlachten zwischen Vertretern der sozialliberalen Regierung von Kanzler Willy Brandt (SPD) und der von Helmut Kohl geführten CDU/CSU-Opposition. Die bayerische Landesregierung unter Alfons Goppel (CSU) versuchte die ihrer Meinung nach verfassungswidrige Ratifizierung - ohne Erfolg - durch ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu stoppen. Der Grundlagenvertrag ebnete den Weg für die deutschen UNO-Mitgliedschaften: Am 18. September wurden BRD und DDR in den Kreis der UN-Staaten aufgenommen.
Aufregung verursachte 1973 die Entscheidung des Bayerischen Rundfunks sich bei der Ausstrahlung des Rosa-von-Praunheim-Films „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ aus dem ARD-Gemeinschaftsprogramm auszublenden. Ebenso gab es etliche entrüstete Stimmen bei der Premiere des US-Horror-Schockers und Kassenhits „Der Exzorzist“, in dem Hauptdarstellerin Linda Blair sich selbst den Kopf verdrehte. Der erfolgreiche US-Streifen „American Graffiti“ thematisierte im Jahr, in dem Glam-Rock und Bernd Clüvers Junge mit der Mundharmonika in den Charts glänzten, bodenständigen Traditions-Rock´n´Roll. (mb)