Was war wann - Info Chronik 1976

Chronik 1976

Mit der (Wieder-)Vereinigung der beiden vietnamesischen Staaten fand 1976 der im Vorjahr militärisch entschiedene Vietnam-Krieg auch in politischer Hinsicht einen Abschluss. Aus den ehemals verfeindeten Staaten Demokratische Republik Vietnam (Nordvietnam) und Republik (Süd-)Vietnam wurde die Sozialistische Republik Vietnam. Südvietnams Ex-Hauptstadt Saigon bekam 1976 den neuen Namen „Ho-Chi-Minh-Stadt“.
Am anderen Ende des asiatischen Kontinents war 1975 ein neuer Krisenherd entstanden, der auch 1976 zahlreiche Todesopfer forderte. Im kleinen Libanon waren Spannungen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien, Religionsgemeinschaften und politischer Interessengruppen zum Bürgerkrieg eskaliert. Mitte Januar 1976 richteten christliche Phalangisten-Milizen mit syrischer Rückendeckung im von der Palästinenser-Organisation PLO kontrollierten Beiruter Elendsviertel Karantina ein Massaker an der dort lebenden Bevölkerung an. Etwa 1000 bis 1500 Zivilisten, zum großen Teil Kurden und Armenier, wurden ermordet. Wenige Tage später kamen bei einem Vergeltungsschlag der PLO im christlichen Beirut-Vorort Damur alle Einwohner (etwa 350) um. Im August wüteten Christen-Milizen als Rache für Damur im Beiruter Palästinenser-Flüchtlingslager Tel al-Zaatar und metzelten dort 1500 bis 3000 Menschen nieder. Die selbst von Experten schwer durchschaubare Gemengelage von Gewalt und Gegengewalt, von religiösen und politischen Spannungen, Clan-Fehden, Bereicherungskriminalität und Interessen der Anrainerstaaten Israel und Syrien stürzte die ehemalige „Schweiz des Nahen Ostens“ in einen Bürgerkrieg, der bis 1990 dauern sollte.
Bei einem anderen Dauer-Krisenherd, Nordirland, sahen sich die militanten Protagonisten beider Seiten 1976 in der für ihr jeweiliges Selbstbild unangenehmen Situation, dass Betroffene der angeblich von den Militanten vertretenen Bevölkerungsgruppen gemeinsam gegen Gewalt und Terror protestierten. Vier Tage nach einer Schießerei, bei der unter anderem drei Kleinkinder getötet worden waren, demonstrierten am 14. August 10.000 nordirische Bürger gegen die Gewaltspirale. Die aus einer interkonfessionellen Familie stammende Betty Williams und die Katholikin Mairead Corrigan, Tante der drei getöteten Kinder, gründeten als Reaktion auf die ständige Gewalt die „Community of Peace People“, die in den Folgewochen laufend Friedensdemonstrationen („Peace Rallye“) in der Unruheprovinz organisierte.
Um Todesgewalt ging es auch bei einer für weltweites Aufsehen sorgenden Juristen-Entscheidung: Seit 1967 bestand in den USA wegen einiger gerichtsanhängiger Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe ein faktischer Vollzugsstopp für Hinrichtungen. Im Januar 1976 erklärte der Oberste US-Gerichtshof die umstrittene Strafart trotz zahlreicher Hinrichtungen von sich postum als unschuldig erwiesener Verurteilter für rechtens. Der Streit um die Todesstrafe überschattete nur wenig die mit viel patriotischem Bombast zelebrierten Feiern in den USA zum 200. Jahrstag der US-Unabhängigkeitserklärung („Bicentennial).
Auf der Südhälfte des amerikanischen Kontinents begann mit dem Sturz von Präsidentin Isabel Peron durch eine Militär-Junta in Argentinien eine besonders düstere, bis 1983 dauernde Periode von Staatsterror.
Gegen Staatsterror und Apartheid in der Südafrikanischen Republik gingen 1976 immer mehr Menschen auf die Straße. In der Johannesburger Schwarzen-Vorstadt Soweto brach im Juni ein blutig niedergeschlagener Schüleraufstand los, der „Soweto“ zum Synonym für die anti-rassistische Bewegung werden ließ.
Im östlichen Afrika, in der ugandischen Stadt Entebbe, fand 1976 ein für weltweites Aufsehen sorgendes Geiseldrama sein Ende. Eine aus fünf Palästinensern und zwei Deutschen bestehende Terror-Gruppe („Kommando Che Guevara“) hatte am 27. Juni eine Air-France-Maschine mit 270 Insassen nach Entebbe entführt. Die Geiselnehmer forderten von Israel, der BRD, Frankreich, der Schweiz und Japan die Freilassung von 53 wegen linksterroristischer Straftaten verurteilter beziehungsweise angeklagter Gefangenen. Bei einer Befreiungsaktion von israelischen Spezialeinheiten kam es am 4. Juli auf dem International Airport von Entebbe zu einer mehr als einstündigen Schießerei, in die auch Soldaten des pro-palästinensischen Uganda-Diktators Idi Amin verwickelt waren. Bei dem Schusswechsel kamen 20 ugandische Soldaten, alle Entführer und drei Geiseln sowie der Kommandeur des Eingreifstrupps, der Bruder des späteren israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, ums Leben.
Zu den deutschen Linksterroristen, die das „Kommando Che Guevara“ freipressen wollte, gehörte auch die RAF-Aktivistin Inge Viett. Drei Tage nach den Ereignissen in Entebbe gelang es Inge Viett mit drei weiteren Inhaftierten aus der Haft zu fliehen. Inge Viett spielte beim als „Deutscher Herbst 1977“ in die Geschichtsbücher eingegangenen Terror- und Anti-Terror-Eskalation im Folgejahr eine wichtige Rolle. Zur Symbolfigur dieses Höhepunkts des deutschen Terrorismus wurde RAF-Gründerin Ulrike Meinhof stilisiert, die am 9. Mai 1976 erhängt in ihrer Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim aufgefunden worden war.
In China ging mit dem Tod von Mao Tse-tung (Mao Zedong) am 9. September endgültig die Ära der Kulturrevolution zuende. Hoffnungen, dass es nach Mao zu einer politischen Liberalisierung des Landes unter Maos Nachfolger Hua Guofeng kommen könnte, zerschlugen sich rasch.
Auch in Washington kündigte sich ein Wechsel an der Staatsspitze an. Der Demokrat Jimmy Carter gewann gegen den amtierenden US-Präsidenten Gerald Ford (Republikaner) die Wahl (Amtsantritt 1977). In Bonn konnte dagegen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) am 3. Oktober bei der Bundestagswahl seine Position gegen Herausforderer Helmut Kohl (CDU) behaupten.
Für Sportbegeisterte blieb 1976 als Jahr der XII. Olympischen Winterspiele in Innsbruck und der XXI. Olympischen Sommerspiele in Montreal in Erinnerung. 1976 konnte auch der Beginn der Punk-Bewegung nicht verhindern, dass Abba mit ihrem „Dancing Queen“-Song den Welthit des Jahres hatte. Mit der Gründung der Computer-Firma „Apple“ und der Premiere des ersten Laserdruckers (IBM 3800) setzte sich die Entwicklung ins PC-Zeitalter fort. Wichtiger für Kinder und Kindgebliebene war damals allerdings noch die Ausstrahlung der ersten „Muppet Show“ im US-Fernsehen sowie die erste Folge der „Biene Maja“ im deutschen TV. Lesern nahm US-Bestseller Autorin Erica Jong 1976 die „Angst vorm Fliegen“ und Alex Haleys Sklaven-Roman „Roots“ wurde ein Welterfolg. (mb)