Chronik 1967
Das Jahr 1967, ein Jahr, in dem (wieder einmal) kein Friedensnobelpreis vergeben wurde, war (wieder einmal) bestimmt durch zahlreiche kriegerische Ereignisse. düstere Unterdrückung und blutige Unruhen. Auf der anderen Seite ist das Jahr auch als vom Hippie-Harmonie und Friedenssehnsucht geprägter „Summer of Love“ in die Geschichte eingegangen.
Das für die internationale Politik bedeutsamste kriegerische Ereignis war 1967 der Sechstage-Krieg, der politische Realitäten in der Nahost-Region schuf, die noch die Enkel-Generationen der damaligen Akteure unmittelbar betreffen sollten. Der knapp eine Woche dauernde Kurz-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien und Syrien begann am 5. Juni und endete mit der arabischen Niederlage am 10. Juni. Das zwischen Israel und seinen Nachbarn seit der Gründung des Staates Israel 1948 stets problematische Verhältnis hatte sich 1966/67 erheblich verschlechtert. Der von Ägyptens Staatsführer Nasser befohlene kriegsmäßige Aufmarsch starker Truppenverbände in der an Israel unmittelbar angrenzenden Sinai-Wüste, die Sperrung der den einzigen Zugang Israels zum Roten Meer darstellenden Meerenge von Tiran durch die ägyptische Marine und der von Nasser erzwungene Abzug der im Sinai-Gebiet stationierten UN-Friedenstruppen (UNEF) veranlasste die israelische Führung (Ministerpräsident Levi Eschkol, Verteidigungsminister Mosche Dajan) von einem bevorstehenden Angriff Ägyptens und dessen Verbündeten auszugehen. Mit einem Präventivschlag besiegten die zahlenmäßig leicht unterlegenen, aber waffentechnisch und ausbildungsmäßig überlegenen sowie ausgezeichnet geführten israelischen Truppen die von der Sowjetunion unterstützten arabischen Streitkräfte. Etwa 35.000 arabischen Soldaten wurden während der Kämpfe getötet. Israel hatte knapp 800 Gefallene zu beklagen. Das von den USA unterstützte Israel besetzte als Folge dieses Sieges ein insgesamt knapp 70.000 qkm großes Gebiet. Ägypten musste die Besetzung der Sinai-Halbinsel und des Gaza-Streifens akzeptieren, Jordanien auf das mehrheitlich von Palästinensern bewohnte Westjordanland mit der Altstadt von Jerusalem verzichten und Syrien die strategisch wichtigen Golan-Höhen abgeben. 1982 räumte Israel die Sinai-Wüste. Die Weigerung Israels, auch die übrigen besetzten Gebiete zu räumen, wurde zum Dauerstreitpunkt in der internationalen Politik.
Die von Präsident Lyndon B. Johnson geführten USA, die sich nicht nur mit Bombereinsätzen, sondern zunehmend auch mit Bodentruppen im Vietnam-Krieg gegen Nordvietnam und Vietcong engagierten, sahen sich 1967 mit schweren Rassenunruhen, vor allem in Newark und Detroit, konfrontiert. Der schwarze Boxerstar Muhammad Ali, der 1964 seinen “Sklavennamen“ Cassius Clay abgelegt hatte, verweigerte aus religiösen und politischen Gründen den US-Kriegsdienst. Er verlor daraufhin seinen Weltmeister-Titel und erhielt ein (später aufgehobenes) Urteil über eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren.
Der Vietnam-Krieg radikalisierte auch zunehmend die gegen autoritäre Strukturen aufbegehrende Studentenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Zur zentralen Figur der Studentenproteste und als prominenter Linksradikaler zum Hassobjekt der Springer-Presse wurde der in Berlin Soziologie studierende Rudi Dutschke. Beim Staatsbesuch des zu Recht als Despot kritisierten Schahs von Persien kam es in Berlin zu Protesten und Ausschreitungen („Prügel-Perser“). Dabei wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Sein Tod wirkte als Katalysator für weitere Proteste und Unruhen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz (SPD), trat als Reaktion auf den Ohnesorg-Tod von seinem Amt zurück.
War Ohnesorg erst durch seinen Tod tragisch-zufällig zu einem Polit-Symbol geworden, gehörte eine andere Protest-Ikone bereits seit Ende der 1950er Jahre als „Guerrillero Heroico“ zu den Helden der Linken: Che Guevara, der zusammen mit Fidel Castro das ehemalige „Bordell der USA“, die Karibik-Insel Kuba, zu einem real-sozialistischen Land gemacht hatte. Vom Machtpolitiker Castro in Kuba bald kaltgestellt, versuchte Guevara die Revolution nach Bolivien zu exportieren. Er wurde dort mit seiner kleinen Guerilla-Truppe von Militärs gestellt, gefangen genommen und am 9. Oktober 1967 ohne Gerichtsurteil erschossen. Das berühmte Che-Poster wurde seitdem noch häufiger in WG-Wohnungen an die Wand gepint.
Bei den 1967er Protesten spielte auch das Unbehagen eine Rolle, das viel Deutsche beschlich, wenn sie an die Menschenrechtssituation in den NATO-Mitgliedsstaaten Türkei und Portugal dachten. 1967 war der Club der Mittelmeer-Diktaturen, zu der auch Franco-Spanien gehörte, durch einen Militär-Putsch um ein weiteres Mitglied erweitert worden. Für einen großen Teil der Deutschen stellten Diktatoren allerdings kein Problem dar, das gegen einen griechischen oder iberischen Badeurlaub sprechen würde. Urlaubshemmend war eher die finanzielle Lage. Tatsächlich hatte die wirtschaftliche Talfahrt der deutschen Wirtschaft 1966 die Buchungszahlen in den Bettenburgen schrumpfen lassen. Doch 1967 zog wieder Optimismus durch die westdeutsche Ökonomie. Karl Schiller (SPD), der Wirtschaftsminister der Großen Koalition mit Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) und Vizekanzler Willy Brandt (SPD), hatte mit seinem Konzept der „Konzertierten Aktion“ Akzente zur Wirtschaftsbelebung gesetzt und bereits erste Erfolgszahlen vermelden können.
1967 war nicht nur wirtschaftsorientiert und düster, sondern als „Summer of Love“ auch das Jubeljahr der zwar bereits ordentlich kommerzialisierten, aber grundfriedlichen Hippie-Bewegung, die einen Gegenentwurf zu Dollar-Gier, Napalm, Biafra-Krieg und Kalashnikov darstellen wollte. Symbolisch für das Lebensgefühl des von Amerika ausgehenden Flower-Power-Peace-Programms war der softe Scott-McKenzie-Song „San Francisco“ und das legendäre Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Höhepunkt des „Summer of Love“ war das Monterey Pop Festival in happy Hippie-Kalifornien.
Höhepunkte der deutschen U-Kultur waren 1967 die Einführung des Farbfernsehens, der Beginn der Loriot-TV-Reihe „Cartoon“ und der erste Band der deutschsprachigen Disney-Comic-Reihe „Lustige Taschenbücher“.